Foto: Lunghammer/TU Graz

Foto: Lunghammer/TU Graz

Das Energiesystem von morgen modellieren
Sonja Wogrin, Research Center ENERGETIC an der TU Graz

Die Energiewirtschaft steht vor enormen Veränderungen. Wie können wir die Energiewende bewältigen und bis 2040 klimaneutral werden? Am Research Center ENERGETIC an der TU Graz beschäftigen sich Forscher:innen genau mit diesem Thema und entwickeln innovative Lösungen für das Energiesystem der Zukunft.

Leiterin des Centers sowie des Instituts für Elektrizitätswirtschaft und Energieinnovation an der TU Graz ist Sonja Wogrin, die 2023 von der Tageszeitung „Die Presse“ zur Österreicherin des Jahres in der Kategorie „Klimainitiative“ gekürt wurde. Ihr Spezialgebiet ist die Modellierung und Analyse von Energiesystemen. „Rätsel und Probleme zu lösen, habe ich schon immer geliebt“, sagt Wogrin, „das hat mich vielleicht auch motiviert, Technische Mathematik an der TU Graz zu studieren. Zu den Themen Energie und Elektrizitätsmärkte bin ich dann erst im Rahmen meiner Dissertation in Spanien gekommen, wo der Ausbau der Erneuerbaren damals so richtig geboomt hat.“
 
Die Energiewende hin zu einer 100 % erneuerbaren Energieversorgung erfordert einen umfassenden Transformationsprozess. Im Energiesystem von morgen müssen viele Komponenten und zahlreiche Akteur:innen optimal zusammenspielen, um eine sichere und nachhaltige Versorgung zu gewährleisten. Gerade diese Komplexität des Energiesystems ist für Sonja Wogrin das Spannende an ihrem Forschungsgebiet. „Das Elektrizitätssystem ist ein Wunderwerk der Technik“, so Wogrin, „weil beim Strom zu jeder Zeit ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage gegeben sein muss. Als Mathematikerin habe ich mir damals gedacht ’wow, das ist es’. Der Energiesektor ist ein Themenbereich, der wirklich alles umfasst: technische Herausforderungen, Unsicherheiten, wie z. B. das Wetter, regulatorische Rahmenbedingungen sowie zahlreiche politische, wirtschaftliche und soziale Aspekte.“

Analyse dekarbonisierter Energiesysteme

Was passiert im Energiesystem, wenn große Mengen an erneuerbarer Energie erzeugt und integriert werden müssen und wie wirkt sich dieser Umbau auf die Lastflüsse, die Energieverteilung und -speicherung sowie auf die Energiemärkte aus? „Die Energiesysteme sind deshalb so hochkomplex, weil alles mit allem immer verbunden ist“, erklärt die Expertin, „und die Frage wo, mit welchen Technologien und unter welchen Rahmenbedingungen der Erneuerbaren-Ausbau geschieht, hat großen Einfluss auf die Entwicklung des Gesamtsystems.“ Um die zukünftigen Anforderungen abschätzen und die richtigen Investitionsentscheidungen treffen zu können, braucht es zuverlässige Modellierungen dieser komplexen Systeme. Sonja Wogrin entwickelt gemeinsam mit ihrem Team an der TU Graz modernste Optimierungs- und Simulationsmodelle für den Betrieb von integrierten, sektorgekoppelten Energiesystemen. Diese Modelle bilden die Basis, um techno-ökonomische Analysen für klimaneutrale
Energiesysteme zu erstellen.

InfraTrans 2040

Vor kurzem abgeschlossen wurde das Projekt InfraTrans 20401, in dem drei Ausbauszenarien für die Energieinfrastruktur in Österreich in den Bereichen Strom, Gas und Wärme erarbeitet und umfassend qualitativ und quantitativ bewertet wurden. Alle Szenarien zeigen deutlich, dass der Stromverbrauch bis 2040 erheblich steigen wird und in jedem Fall ein massiver Ausbau der erneuerbaren Energiequellen notwendig ist, um die nationalen Klimaziele zu erreichen. „Aktuell haben wir in Österreich einen Stromverbrauch von rund 70 Terrawattstunden, bis 2040 könnte sich das verdoppeln, er würde dann also bei 140 TWh liegen. Wir haben alle keine Glaskugel, aber der verstärkte Erneuerbaren-Ausbau ist aus meiner Sicht eine „No-regret“-Maßnahme,“ zeigt sich die Projektleiterin überzeugt.
 
Ziel des Projektteams war es, drei Szenarien mit jeweils unterschiedlichem Fokus (Import/Export-Orientierung, Sektorkopplung und Energieeffizienz) zu analysieren und daraus mögliche Infrastruktur-Ausbaupläne abzuleiten. Dazu wurden mehrere für den jeweiligen Untersuchungszweck spezialisierte Modelle (LEGO, HyFlow, ASCANIO) miteinander gekoppelt. Darauf aufbauend wurde eine sogenannte Multikriterienanalyse und -bewertung durchgeführt, um technische, techno-ökonomische, makroökonomische und ökologische Aspekte systematisch miteinander vergleichen und die jeweiligen Abhängigkeiten ermitteln zu können. „Die Grundmotivation hinter den Szenarien war es, ein Spektrum aufzuspannen und zu zeigen, dass es mehrere Optionen gibt, wie wir zum Ziel gelangen können. Innerhalb jeder Option macht ein Ausbau der Erneuerbaren Sinn. Unter diesem Aspekt haben wir u. a. auch den notwendigen Leitungsausbau im Übertragungsnetz analysiert“, erläutert Wogrin.

In den Simulationen zeigte sich, dass bei einem massiven Ausbau der Erneuerbaren sowohl auf der Ost-West- als auch auf der Nord-Süd-Achse Netzengpässe entstehen können, die eine Verstärkung der österreichischen Übertragungsnetze notwendig machen. Berücksichtigt wurde dabei auch die Einbettung Österreichs in das europäische Übertragungsnetz, ein sehr wichtiger Aspekt, der in früheren Szenarien noch nicht abgebildet wurde. Auf Basis der Modellierungen konnten die Expert:innen verschiedene mögliche Transformationspfade für die Infrastruktur bis zum Jahr 2040 aufzeigen. Einen Überblick über die komplexen Zusammenhänge bietet eine GIS-basierte und web-taugliche Landkarte (z. B. für Energieinfrastrukturen, Potenziale erneuerbarer Energien, lokale Energiebedarfe), die ebenfalls im Rahmen des Projekts entwickelt wurde.

1 Projektkonsortium: TU Graz, Instituts für Elektrizitätswirtschaft und Energieinnovation (Projektleitung), Montanuniversität Leoben, Wirtschaftsforschungsinstitiut (WIFO)

Was würden Sie jungen Frauen für eine Karriere im Energiesektor mit auf den Weg geben?
„Im Energiesektor herrscht momentan eine enorme Aufbruchstimmung, es gibt so viel zu tun, da ist ein Studium der Technik, z. B. der Elektrotechnik die beste Voraussetzung, um etwas zu bewegen. In ein paar Jahren arbeitet man dann am neuen Energiemarktdesign und kann so die Zukunft wirklich aktiv mitgestalten. Wir brauchen dringend mehr Frauen im Energiesektor, weil sie einen anderen Background mitbringen und einen breiteren Zugang zu diesen Themen haben. Wir wissen auch, dass die Teams viel besser funktionieren, wenn sie diverser sind. Was ich jungen Frauen sagen möchte: wenn euch das Klima am Herzen liegt, dann geht bitte in die Technik.“

 

  • Foto: Lunghammer/TU Graz
    Foto: Lunghammer/TU Graz
  • Foto: Lunghammer/TU Graz
    Foto: Lunghammer/TU Graz