EXPERTENINTERVIEW
Univ. Prof. Dr. René Hofmann

Foto: AIT Austrian Institute of Technology
Foto: AIT Austrian Institute of Technology

Leiter der Forschungsgruppe „Industrielle Energiesysteme“, TU Wien – Institut für Energietechnik und Thermodynamik; Thematischer Koordinator des Research Fields Efficiency in Industrial Processes and Systems, AIT Austrian Institute of Technology, Center for Energy

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen für die energieintensive Industrie beim Umstieg auf eine CO2-arme Produktion?
Die Dekarbonisierung der Industrie muss immer unter zwei Aspekten betrachtet werden: Zum einen die Energieversorgung der Industrieprozesse als sektorübergreifende Substitution von fossilen Energieträgern und zum anderen die Produktionsprozesse selbst. Die Schlüsselfaktoren sind dabei die kaskadische und effiziente Nutzung von hochwertigen Rohstoffen und Energieträgern, erhöhte Recyclingraten aber auch die vollständige Substitution einiger Produktionsprozesse wie etwa in der Stahlerzeugung mittels Direktreduktion durch Wasserstoff. Außerdem ist es möglich, abgeschiedenes CO2 als hochwertigen Rohstoff anderen Industrieprozessen zur Verfügung zu stellen, indem beispielsweise in der Zementindustrie Carbon-Capture and Usage Ansätze eingesetzt werden. Um die Dekarbonisierung der Industrie realisieren zu können, wird aber der elektrische Energieeinsatz deutlich über dem heutigen Niveau liegen müssen. Das stellt die Speicher- und elektrische Infrastruktur vor neue Herausforderungen, um den steigenden Anteil volatiler, erneuerbarer Energien bestmöglich zu nutzen und zu integrieren.
 
Ein Umstieg auf eine CO2-arme Produktion ist derzeit noch mit großen wirtschaftlichen, regulatorischen und technischen Unsicherheiten behaftet. Eine Transformation in diese Richtung benötigt signifikante Investitionen, die nur auf Basis klarer und verlässlicher Rahmenbedingungen getroffen werden können.
 
Welche Innovationen und Schlüsseltechnologien werden die Dekarbonisierung der Industrie vorantreiben?
Die Digitalisierung und Automatisierung des Industriesektors hat großen Einfluss auf die Dekarbonisierung der Industrie. Sie ermöglicht eine standortübergreifende effiziente Nutzung und Bereitstellung von Ressourcen, inklusive der dazugehörigen Energieversorgung. Dadurch können Rohstoffkreisläufe geschlossen und kaskadische Nutzungspfade optimiert werden. Digitales Energiemanagement erlaubt es, flexibel auf die Ressourcenverfügbarkeit zu reagieren und durch Flexibilitätsbereitstellung neue Geschäftsbereiche zu erschließen. Weitere zentrale Themen liegen im Bereich der Effizienzsteigerung durch Abwärmenutzung. Hier spielt die Kopplung von Hochtemperaturprozessen, z. B. in Industrieöfen und die Weiterentwicklung von Wärmepumpen eine wesentliche Rolle. Auch der Einsatz von Wasserstoff, einerseits als Energieträger und andererseits als Rohstoff in der chemischen Industrie und der Eisen- und Stahlerzeugung, hat das Potenzial wesentlich zur Dekarbonisierung der Industrie beizutragen.
 
Was bedeutet die Entwicklung von klimaschonenden Produktionsweisen für den Industriestandort Österreich?
Es besteht die Chance für Österreich, mit der Entwicklung klimaschonender Produktionsmethoden eine internationale Vorreiterrolle bei der Dekarbonisierung der Industrie einzunehmen. Durch den Export dieser Produkte und Technologien kann der Wirtschaftsstandort nachhaltig gesichert und die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs in einer globalisierten Welt gestärkt werden.
 
Sie vertreten Österreich im Technologieprogramm „Industrielle Energietechnologien und -systeme“ der Internationalen Energie Agentur. Wie profitieren Forschung und Unternehmen von der internationalen Zusammenarbeit?
Das Technologie­programm „Industrielle Energietechnologien und -systeme“ widmet sich dem Thema Energienutzung in der Industrie. Das Ziel ist eine verstärkte Forschung und Entwicklung von industriellen Energietechnologien und -systemen im Zuge einer internationalen Kooperation zwischen OECD- und Nicht-OECD-Ländern. Im Zentrum stehen dabei die Zusammenarbeit industrierelevanter Forschungsdisziplinen, die Vernetzung innerhalb von Industriesektoren und zu Querschnitts­technologien sowie der Informations- und Wissenstransfer zwischen ExpertInnen aus Industrie, Wissenschaft und Politik. Eine Beteiligung im IETS erlaubt es österreichischen Stakeholdern sich international zu vernetzen, F&E-Leistung zu industriellen Energietechnologien und -systemen anzubieten und Projekte mit österreichischen Technologien im Ausland zu realisieren.
 

IEA TCP – Industrielle Energietechnologien und -Systeme (IETS)
Annex 15 – Industrielle Abwärmenutzung
Annex 17 – Membranfiltration zur energieeffizienten Trennung lignozellulosehaltiger Biomassebestandteile
Annex 18 – Digitalisierung, künstliche Intelligenz und verwandte Technologien für Energieeffizienz und Reduktion von THG Emissionen in der Industrie
Annex 19 – Elektrifizierung der Industrie
nachhaltigwirtschaften.at/de/iea
iea-industry.org