In unmittelbarer Nähe zum weltberühmten Stift Melk befindet sich das ehemalige Produktionsgelände der Tischlerei Fürst. Am Standort des traditionsreichen Familienunternehmens wird aktuell ein multifunktionales, klimaneutrales Stadtquartier nach den Kriterien des New European Bauhaus (NEB) entwickelt 1. Das neue Quartier „Tischlerei Melk“ soll als Leuchtturmprojekt demonstrieren, wie sich Ästhetik, Nachhaltigkeit und Inklusion in einem zukunftsweisenden Konzept, das auf 150 Jahre gedacht wird, verbinden lassen.
Der Standort der Tischlerei Melk hat eine fast 100-jährige Geschichte: das Unternehmen „Fürst Möbel GmbH“ produzierte hier von 1938 bis 2008 Möbel mit hohen ästhetischen und nachhaltigen Ansprüchen. Die historische Skizze der ehemaligen Produktionsstätte zeigt, dass das Areal von Beginn an als ein multifunktionales Quartier mit starkem Fokus auf gemeinschaftliches Leben und Arbeiten angelegt war. Auf dem Gelände befanden sich nicht nur Produktionshallen, sondern auch Arbeiterwohnungen, Büros und Handwerksräume sowie große Nutzgärten für den Gemüseanbau und Freiflächen, wo gemeinsame Freizeitaktivitäten und Feste stattfanden. An diese Traditionen anknüpfend wird für das 4.200 m2 große Areal nun ein ambitioniertes Gesamtkonzept entwickelt, das als Vorbild für die Realisierung der NEB-Kriterien speziell im ländlichen Raum dienen soll.
Erfolgreiche Zwischennutzung seit 2008
Über die Jahrzehnte wuchs der Betrieb kontinuierlich, sodass die Produktion 2008 aus Platzmangel an einen neuen Standort, in eine ehemaligen Garnspinnerei übersiedelte. Unmittelbar danach wurde mit der Nachnutzung eines Teils des Areals als Kleinkunstbühne für Kabarett und Konzerte begonnen. In den ehemaligen Produktionshallen etablierte sich die „Tischlerei Melk Kulturwerkstatt“, die seither kontinuierlich ein vielfältiges kulturelles Programm bietet und bereits von über 150.000 Menschen besucht wurde.
Vision für ein NEB-Quartier
2021 startete der umfassende Prozess zur Entwicklung einer Vision für ein neues, multifunktionales und nachhaltiges Stadtquartier nach den Kriterien des New European Bauhaus. Partizipation und Co-Creation spielen in allen Phasen der Projektplanung eine zentrale Rolle. Seit dem Start werden laufend Expert:innengespräche, Workshops und Symposien mit verschiedenen Interessensgruppen durchgeführt. Dadurch konnten bereits über 1.000 Menschen in den Prozess integriert werden. Ziel ist es, Grundlagen für ein architektonisches, städtebauliches und technisches Konzept für das neue Ortszentrum zu schaffen. Angestrebt wird ein NEB-Quartier mit einer Lebensdauer von mindestens 150 Jahren, das Akzeptanz und breite Unterstützung in der Bevölkerung sowie bei allen relevanten Stakeholder:innen findet.
Urbane Impulse im ländlichen Raum
Die Entwicklung verläuft aktuell in zwei Wegen: einerseits werden seit 2021 sogenannte Prototypen für die Nutzung der Gebäude im Altbestand getestet. Neben der Kulturwerkstatt wurden auf dem Areal der Tischlerei verschiedene Formate und Angebote geschaffen, um die leerstehenden Gebäude zu beleben und als Orte der Begegnung zu etablieren. Dazu gehören ein Co-Working Space mit 14 Arbeitsplätzen, das FamilienQuartier Melk, ein Makerspace sowie das erste Green Hostel Österreichs. Beliebter Treffpunkt sind die regelmäßig stattfindenden After Work-Events. Außerdem werden zahlreiche Aktivitäten und Veranstaltungen für Jung und Alt angeboten, wie z. B. die Handwerk-Workshops des „Kinderkosmos“, bei denen Pensionist:innen in Unternehmen den Jüngsten handwerkliche Berufe vorstellen. Die Prototypen sind inzwischen zur „Seele“ des Quartiers geworden und wurden bisher von fast 25.000 Menschen genutzt. Als sichtbares Zeichen für die lebendige Kulturszene wurden diverse Fassaden und ein Silo von namhaften Künstler:innen wie GOLIF und Deadbeathero gestaltet.
Zukunftskonzept entwickeln
Parallel dazu wird an den Grundlagen für ein zukunftsweisendes Konzept zur Bebauung des Areals gearbeitet. Die Vision ist ein multifunktionales Quartier aus Neubauten und saniertem Altbestand mit gemischter Nutzung, das Flächen für kleinteiliges Gewerbe, Wohnungen, Büros, Veranstaltungsräume, Gastronomie und Beherbergungsbetriebe bietet. Zur Unterstützung der Konzeptentwicklung werden auch begleitende Forschungsprojekte durchgeführt, deren Ergebnisse in die weitere Planung einfließen sollen. So wurde z. B. eine Studie erstellt, die sich mit der Frage beschäftigt, welchen Mehrwert Holz als Baustoff für das New European Bauhaus bietet 2. In diesem Rahmen wurde u. a. ein Leitfaden für Holzbauunternehmen erarbeitet, der die Potenziale des Baustoffs Holz im nachhaltigen Bausektor aufzeigt.
Die nächsten Schritte
Aktuell wurde der Prozess zur Beteiligung der Bürger:innen gestartet. 50 Menschen werden aktiv bei der kooperativen Planung der öffentlichen und halböffentlichen Räume der Tischlerei Melk mitarbeiten und konnten bereits an einem ersten Partizipationsworkshop teilnehmen. Der Beteiligungsprozess liefert wichtige Grundlagen für das Briefing der Projektplaner:innen. Die Ergebnisse des Workshops werden in das weitere Planungsverfahren einfließen. Auch bei der Beurteilung der Konzepte sollen die regionalen Akteur:innen und Bürger:innen teilnehmen. Diese Vorgangsweise ist europaweit einzigartig, da kooperative Planungsverfahren für Quartiere bisher nur von öffentlichen Trägern und noch nie von Privatpersonen durchgeführt wurden. Bis Ende 2025 wird der Masterplan für die stufenweise Entwicklung des Areals ausgearbeitet; danach soll die bauliche Umsetzung starten. In Melk wird so das erste NEB- Quartier im ländlichen Raum und damit ein Pionierprojekt für eine neue Art der Regionalentwicklung entstehen.
www.unseretischlerei.at
klimaneutralestadt.at/de/projekte/tiks/neb-tischlerei-melk.php
1 Projekpartner:innen: Fürst Holding GmbH (Projektleitung), AKXSO GmbH, Fachhochschule St. Pölten GmbH, M.O.O.CON GmbH
2 Projekpartner:innen: Fürst Holding GmbH, AKXSO GmbH, Dietrich Untertrifaller ZT GmbH, Ozeangrün eU, Matthias Dallinger eU